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Gentechnik im Politikunterricht

"Gentechnik" im Politikunterricht

von Ronny Einecke


(der Aufsatz ist abgedruckt in Gesellschaft - Wirtschaft - Politik 2003, Heft 2, S. 245-258)

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Text und Unterrichtsphasen
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Materialien
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Auszug

Politische Bildung und Gentechnik.

Die Entwicklung der Gentechnik in den vergangenen Jahren konfrontiert Individuen und die Gesellschaft mit schwerwiegenden ethischen Fragen. Individuen müssen entscheiden und begründen, ob sie z.B. gentechnisch veränderte Lebensmittel kaufen oder sich einer Gentherapie unterziehen wollen. Entscheidungen, die die Politik zu treffen hat, haben es häufig mit hohen moralischen Wertbegriffen wie Gerechtigkeit, Gemeinwohl und Menschenwürde zu tun. Insbesondere den Parlamentariern im Bundestag kommt die Aufgabe zu, über solche Fragen zu beraten, zu debattieren und eine Entscheidung zu treffen. Dabei müssen sie die Meinung von gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigen. Diese Entscheidung, zumeist in Gesetzesform, ist für die Gesellschaft bindend und wird vielfach kontrovers aufgenommen (vgl. die Debatte um den § 218 StGB oder den Einsatz der Bundeswehr im Kosovo).

Eine solche kontroverse Debatte im Bundestag entbrannte über die Einfuhr und die Arbeit mit embryonalen Stammzellen. Die Probleme, die die Gentechnik aufwirft, lassen sich nicht technisch oder mathematisch lösen. Quer durch die Fraktionen gab es Meinungen der Ablehnung und Zustimmung. Im Vorfeld gab es Empfehlungen von Expertengremien; einmal von der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" sowie des Nationalen Ethikrates. Die Debatte ist nur ein Beispiel für die neuen medizinischen Möglichkeiten, die Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin bieten und für die damit verbundenen moralischen Diskussionen. Die Parlamentarier hatten die Aufgabe, die möglichen Chancen und Gefahren der Stammzellforschung gegeneinander abzuwägen. Die neuen medizinischen Fortschritte werfen ethische Fragen auf, deren Beantwortung für die derzeitige und die zukünftige Gesellschaft von besonderer Bedeutung sind. Vor diesem Hintergrund dürfen sich die Schule und insbesondere der politische Unterricht diesen Fragen nicht verschließen.

Die Fähigkeit der Schüler, moralisch-politische Sachverhalte zu analysieren und Entscheidungen zu treffen, muss im Unterricht gefördert werden. Aus diesem Grund ist diese Unterrichtsreihe zur moralisch-politischen Urteilsbildung zum Thema Stammzellforschung, Klonen und Präimplantationsdiagnostik konzipiert. Sie bietet den Schülern auf der Grundlage eines Falls die Möglichkeit zur fachwissenschaftlichen, moralischen und rechtlichen Auseinandersetzung mit dieser Problematik. Der Fall ist als Dilemma aufgebaut. "Zu analytischen Zwecken werden drei Typen von Dilemmata unterschieden: a) Das hypothetische Dilemma, b) das Real-Dilemma, c) das politische Dilemma oder Problem." (Reinhardt 1999: 68) In diesem Fall handelt es sich um ein politisches Dilemma. Politische Dilemmata verlangen nicht die Entscheidung einer Person als Individuum zu den aufgeworfenen Fragen.

Ihr Merkmal ist, dass sie sich auf der Handlungsebene von Kollektiven bewegen, "[...]deren Entscheidungen strukturbildend für die Rahmenbedingungen des Lebens in einer Gesellschaft sind." (Reinhardt 1999: 68) Die Entscheidung, die in einem politischen Dilemma getroffen wird, ist nicht nur bedeutend für den einzelnen, sondern bindet alle Individuen, die zu einer Gesellschaft gehören. Die Entscheidung eines Schülers für oder gegen eine Position hätte somit nicht nur Auswirkung auf sein Leben, sondern auf das aller Menschen. Die Schüler müssen sich dieser ernormen, wenn auch nur hypothetischen Macht bewusst sein. Die Grundlage einer Entscheidung kann deshalb nicht nur die persönliche Einstellung sein, weshalb die Auseinandersetzung mit Meinungen gesellschaftlicher Gruppen vorangehen sollte. Ebenso wichtig ist die Beschäftigung mit den biologisch-fachwissenschaftlichen Hintergründen. Aus diesem Grund ist die Unterrichtsreihe fächerübergreifend für die Fächer Biologie und Sozialkunde gestaltet. Die Verschränkung beider Fächer ermöglicht eine intensivere Vertiefung in die Thematik.

Konzeption der Unterrichtsreihe

Diese Struktur der Unterrichtsreihe ermöglicht den Schülern, das nötige Fachwissen über die Problematik der Stammzellforschung, des Klonens und der Präimplantationsdiagnostik (PID) zu erlangen sowie die eigene Meinung kritisch zu befragen und sich mit anderen Argumentationen auseinander zu setzen. Das Abwägen der Meinungen und der Diskurs über die moralischen Fragen münden in eine Entscheidung, die in Form einer Petition dem zuständigen Ausschuss im Bundestag übersandt wird. Die Schüler lernen so nicht nur moralisch-politische Konflikte zu analysieren und zu bewerten, sondern ihrer Meinung auch Ausdruck zu verleihen, was sich mit dem dritten Gebot des Beutelsbacher Konsenses deckt (vgl. Wehling 1992: 122-128, zuerst 1977). Die Unterrichtsreihe ist gedacht für Schüler der 10.-13. Klassen. Sie verlangt viel selbständige Arbeit von den Schülern, zumeist in Gruppenarbeit. Der Zeitansatz muss deshalb variabel geplant werden und hängt maßgeblich von der Klasse ab. Es sind aber mindestens 9-10 Stunden einzuplanen. Die Unterrichtsreihe kann als modifizierte Fallstudie betrachtet werden (vgl. Kaiser 1983). Die Unterrichtsreihe ist grob strukturiert in die Phasen:

I.) Einstieg:
    Ia) Biologie der Mutationen
    Ib) Konfrontation mit dem Fall
II.) Informationsphase/ Fallanalyse
III.) Moralischer Diskurs
IV.) Politisch- Rechtliche Dimension.

Der Fall ist in Anlehnung an einen Zeitungsartikel entworfen worden.

Der Fall:
Familie Arendt ist eine dreiköpfige Familie aus Salzwedel, bestehend aus den Eltern Annett und Holger Arendt und dem Sohn Hannes. Hannes ist 4 Jahre alt und leidet an der tödlichen Erbkrankheit Duchenne Muskeldystrophie (DMD), eine Art von Muskelschwund. Hannes kann nur schwer stehen und sich konzentrieren. Schon bald wird er auf einen Rollstuhl angewiesen sein, da seine Muskeln stetig weiter schwinden. In wenigen Jahren werden auch sein Herz und die Atmung beeinflusst sein. Die durchschnittliche Lebenserwartung von DMD-Patienten liegt bei 25 - 30 Jahren. Die Krankheit verläuft bisher immer tödlich.

Forschungen und Therapien zur Heilung von DMD werden seit Jahren ohne großen Erfolg unternommen. Ein neuer Heilungsansatz könnte durch die Stammzellforschung und das Klonen entstehen. Um Hannes zu retten, müsste aber ungehindert mit Stammzellen und genetischem Material geforscht werden können, da derzeit noch keine Therapie bekannt ist.

(Eigene Darstellung nach Volksstimme vom 22.06.2002, S. 7)

Für die Unterrichtsreihe wird vorausgesetzt, dass die Schüler in dieser Klassenstufe Grundkenntnisse über Genetik erworben haben. Die einzelnen Phasen der Unterrichtsreihe sind im PDF-Dokument vorgestellt und näher erläutert. Auch alle nummerierten Materialien in den Stundenkonzepten sind auf dieser Internetseite verfügbar.

Literatur

  • Kaiser, Franz- Josef (Hrsg.), 1983: Die Fallstudie. Bad Heilbrunn/Obb: Verlag Julius Klinkhardt.
  • Knelangen, Wilhelm: Enquete-Kommissionen In: Andersen, Uwe/ Woyke, Wichard (Hrsg.), 2000: Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 4. Aufl., Opladen: Leske+Budrich.
  • Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (Hrsg.), 1991: Schule und Werteerziehung. Ein Werkstattbericht. Soest: Soester Verlagskontor, S. 179-180.
  • Reinhardt, Sibylle, 1999: Werte Bildung und politische Bildung: Zur Reflexivität von Lernprozessen. Opladen: Leske+Budrich.
  • Volksstimme 22.06.2002, S. 7 "Vierjähriger erhält Stammzellen in Kiew-Forscher haben Bedenken"
  • Wehling, Hans- Georg: Konsens à la Beutelsbach? In: Breit, Gotthard/ Massing, Peter (Hrsg.), 1992: Grundfragen und Praxisprobleme der politischen Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 122-128 (zuerst 1977).

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