Der Kampf um das Dosenpfand
Der Kampf um das Dosenpfand - Eine Konfliktanalyse im Oberstufen-Unterricht
von Alexander Ersfeld
(der Aufsatz ist abgedruckt in Gesellschaft - Wirtschaft - Politik 2/2004 S. 247-258)
Download
vollständiger Text mit Unterrichtsphasen, detailierter Sachanalyse und Materialien
reihe07_textmat.pdf
(631,4 KB) vom 19.02.2007
Auszug
Der Krach um die Dose
Das Hauptaugenmerk der Deutschen im Jahr 2003 schien sich auf eine kleine Blechdose zu konzentrieren. Die Aufregung über die Auswirkungen der Verpackungsverordnung beschäftigte alle Medien und die ganze Gesellschaft. Seit Beginn des Jahres mussten die Deutschen für Einwegverpackungen bestimmter Getränke ein Pfand bezahlen - und hatten große Probleme, ihr Geld zurück zu bekommen.
Dabei sah es vor der Einführung des Pfandes noch recht gut aus. Nahezu 80% der Deutschen befürworteten die Idee einer Pfanderhebung auf Einweggetränkeverpackungen. Diese positive Einstellung verkehrte sich jedoch in ihr Gegenteil, als die ersten Probleme mit der Umsetzung des "Dosenpfands" auftauchten. Die Rückgabe der mit Pfand belegten Flaschen und Dosen war nämlich nur mit beim Kauf ausgegebenen Bons oder Pfandmarken möglich. Außerdem musste das Leergut auch genau dort abgegeben werden, wo es zuvor gekauft worden war. Mit der Zeit sammelten sich Berge von nicht wieder einzulösendem Leergut in den Haushalten an. Millionenbeträge des nicht eingelösten Pfandes verblieben beim Einzelhandel. Wie konnte es zu diesem Chaos kommen? Hatten Handel und Getränkehersteller nicht genug Zeit, um sich auf die Umstellung vorzubereiten? Konnte man sich nicht an funktionierenden Systemen orientieren (wie z.B. Schweden)?
[...] Der Streit um die Verpackungsverordnung ist ein auf den ersten Blick recht unübersichtlicher Konflikt mit vielen verschieden Interessengruppen und Zielsetzungen.
"Dosenpfand" als Gegenstand im Unterricht?
Die Auseinandersetzung um das Dosenpfand bietet eine Chance, Lernende in Prozesse politischen Agierens zu verwickeln. Der politische Unterricht ist nicht in der Lage, umfassende Kenntnis über politisches Agieren zu vermitteln, dies kann auch nicht Ziel sein. Vielmehr kann und soll "Orientierungswissen" vermittelt werden. (Giesecke, 1997, S. 17)
[...] Eine didaktische Antwort auf diese Problematik bietet der konfliktorientierte Ansatz. Er geht davon aus, wie die Menschen sowieso über Politik denken, wie sie zu Urteilen kommen und wie von daher ihr Verhalten bestimmt wird. Die politische Bildung muss den Menschen also nicht beibringen, dass sie überhaupt politische Meinungen und Urteile äußern - die haben sie sowieso -, sondern dass sie ihre Meinungen bedenken und dann möglicherweise ändern oder präzisieren. Das kann nicht einfach durch die Konfrontation mit wissenschaftlichen Theorien geschehen. Es kommt vielmehr darauf an, das Ensemble der zu stellenden Fragen zu erweitern und die Bedeutung dieser Erweiterung für die eigene Urteilsfähigkeit zu erkennen.
Die am politischen Handeln orientierte didaktische Konzeption beruht also primär auf Fragen und nicht auf einer vorgängigen sachlichen Systematik. Diese soll vielmehr erst durch die Suche nach Antworten erschlossen werden. Primär geht es also um ein methodisches Verfahren, das zum Ziele hat, von erkennbaren politischen Handlungen her auf deren Hintergründe vorzudringen, um mit der dadurch gewonnenen Erkenntnis diese Handlungen besser beurteilen zu können.
Ein solches Verfahren ist die von Giesecke entwickelte Konfliktanalyse, die mit entsprechend allgemeinen Fragen arbeitet, um politische Prozesse zu hinterfragen und zu analysieren. Diese Fragen beziehen sich auf Kategorien, die das Handwerkszeug für künftige Analysen abgeben. Giesecke nennt als Kategorien: Konflikt, Konkretheit, Macht, Recht, Interesse, Solidarität, Mitbestimmung, Funktionszusammenhang, Ideologie, Geschichtlichkeit und Menschenwürde (Giesecke, 1982/1992, S.330 f.). [...]