Thema und Fragestellung
Thema und Fragestellung
Aufgrund der oft konstatierten Distanz nachwachsender Generationen zu Politik gehören politische und insbesondere rechte Orientierungen Jugendlicher gegenwärtig zweifellos zu den Schwerpunkten der Jugendforschung. Auch zu den Bedingungen der politischen Sozialisation Heranwachsender liegen inzwischen viele Studien vor. Doch im Bereich der Wirkungsmechanismen der Schule als wesentlicher Instanz der öffentlichen Bildung besteht ein enormes Forschungsdesiderat. Dabei scheint gerade der Institution Schule angesichts steigender Leistungsanforderungen an einzelne Schülerinnen und Schüler und der wachsenden Bedeutung schulischer Erfolgskarrieren für die Sicherung künftiger Lebensperspektiven in der Gesellschaft eine immer entscheidendere Rolle für die Integration und im Falle schulischer Misserfolge auch für die Desintegration Jugendlicher zuzukommen.
Schulische Misserfolge, d.h. schulbezogene Entwertung und Anerkennungsverweigerung, sowie mangelnde Integration in schulische Zusammenhänge können zum Aufbau gewaltaffiner Orientierungen und gewalttätigem Verhalten ebenso beitragen, wie zur Identifikation mit rechten Jugendkulturen und –cliquen.
Bislang liegen keine differenzierten Studien vor, die den Zusammenhang von gewaltaffinen und rechten Orientierungen, individuellen schulischen Anerkennungserfahrungen, Schulkultur, den Lehrer-Schüler-Beziehungen, den schulischen Bildungsprozessen und der sozialen, interaktiven Dynamik innerhalb der Schule in den Blick nehmen.
Wir fragen, wie die Anerkennungserfahrungen der Jugendlichen mit rechten Orientierungen im schulischen Raum ausgeformt sind und wie sich diese zur Anerkennung in anderen Lebensbereichen (Familie, peers etc.,) sowie zu den Erfahrungen jener Jugendlicher verhalten, die keine rechten Haltungen aufweisen bzw. auch zu jenen Jugendlichen, die als Bildungsgewinner rechte Orientierungen zeigen. Unsere Studie richtet den Untersuchungsfokus auf individuelle schulische Bildungsprozesse, einzelschulspezifische Schulkulturen und deren Einfluss auf die Übernahme gewaltaffiner und rechter Orientierungen durch Jugendliche.
Forschungsmethodisch verbindet die Untersuchung eine quantitative und eine qualitative Teilstudie. In einem ersten Schritt wurde eine landesrepräsentative Befragung von 13- bis 16jährigen Schülern an insgesamt 43 Schulen in ausgewählten Regionen in Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen durchgeführt. An die ersten Erkenntnisse der quantitativen Befragung und einer multimethodischen Vorstudie anknüpfend wird nun zeitlich parallel in den ost- und westdeutschen Regionen eine qualitative Teilstudie an vier ausgewählten Einzelschulen realisiert, die sich auf eine Ethnographie schulischer Anerkennungssituationen, auf Gruppendiskussionen sowohl mit Schüler- wie auch mit Lehrergruppen sowie auf biographische Schülerinterviews stützt.
Das Gesamtprojekt wird wichtige neue Erkenntnisse zum Thema Schule, Gewalt und Rechtsextremismus liefern, aus denen auch Konsequenzen für die Verbesserung der Gestaltung des Schulklimas an Einzelschulen sowie der Reform der politischen Bildung resultieren können.