Forschungsprofil
Das interdisziplinäre Zentrum für Schul- und Bildungsforschung (ZSB) widmet sich der Erforschung von Sozialisations-, Erziehungs- und Bildungsprozessen. Dabei werden gesellschaftstheoretische, organisations- und institutionstheoretische sowie akteurstheoretische Perspektiven miteinander verbunden.
Das ZSB ist einem weiten Bildungsbegriff verpflichtet, der formelle, informelle und non-formale Bildungsprozesse umfasst. Bildung wird dabei als lebenslanger Prozess begriffen. Damit werden die Bereiche der Elementarbildung, der Schule, der Kinder- und Jugendhilfe, der Hochschule und der anderen tertiären Bildungseinrichtungen in den Blick genommen. Neben die diachrone Perspektive von Bildung als biografischem Prozess tritt gleichermaßen die Erforschung des synchronen Zusammenspiels zwischen verschiedenen pädagogischen und außerpädagogischen Feldern.
Ein besonderes Kennzeichen der Bildungsforschung des ZSB ist die auf der Mikro-Ebene ansetzende sozial- und erziehungswissenschaftliche Perspektive, mit der sowohl die konkreten Bildungspraktiken als auch biografische Bildungsprozesse untersucht werden. In diesem Zusammenhang versteht sich das ZSB insbesondere als Ort der systematischen Erprobung und Weiterentwicklung komplexer qualitativer und triangulierender Forschungsverfahren.
Entsprechend der Forschungsprogrammatik des ZSB werden insbesondere Forschungsvorhaben realisiert, die die folgenden Schwerpunkte aufgreifen. Die Forschungsschwerpunkte sind interdisziplinär ausgerichtet und anschlussfähig an fachdidaktische, politik-, geschichts- und rechtswissenschaftliche sowie anthropologische, soziolinguistische und bildungsökonomische Perspektiven.
1. Jugend, Raum und Region
Im Forschungsschwerpunkt geht es um die sozialräumliche Dimension des Handelns. Damit wird die Debatte über Handlungsräume Jugendlicher sowie über regionale Disparitäten und den regionalen Strukturwandel als Bedingungsgefüge des Aufwachsens aufgegriffen. Analysiert wird die Relevanz dieser sozialräumlichen Bedingungen für Lern- und Bildungsprozesse sowie für gesellschaftliche Integrationsprozesse im Jugendalter. Brisant ist diese Fragerichtung in zwei Hinsichten: Zum einen sind Jugendliche von gesellschaftlich-regionalen Transformationsprozessen besonders stark betroffen und haben gleichzeitig ein relativ schwaches politisches Gewicht. Zum anderen ist das Jugendalter eine Lebensphase, in der sich die Möglichkeiten der Aneignung und Konstruktion von Handlungsräumen erweitern. Dabei werden auch lokale und translokale, digitale und nicht-digitale Handlungsräume miteinander verbunden, die ungleichen Möglichkeitsbedingungen bieten. Im Forschungsschwerpunkt werden vor allem zwei sich ergänzende Perspektiven verfolgt: Erstens werden strukturelle Klassifizierungen von Räumen und Regionen sowie deren diskursive Erzeugung als Bedingungen für Lern-, Bildungs- und Integrationsprozesse von Jugendlichen in den Blick genommen. In einer handlungstheoretischen Sichtweise werden zweitens die raumbezogenen Positionierungen, Bedeutungszuschreibungen und Praktiken der Jugendlichen analysiert, die diese selbst hervorbringen.
2. Organisation und Kultur
Prozesse gesellschaftlichen und organisationalen Wandels und ihre Folgen für das Bildungssystem ebenso wie die spezifischen Ausformungen von Organisationskulturen sind Gegenstand des Forschungsschwerpunktes. Die zunehmende Umgestaltung von Bildung nach Modellen formaler Organisation ist Ausdruck gestiegener gesellschaftlicher Ansprüche und Erwartungen an das Bildungssystem. Dabei werden die Einrichtungen des Bildungssystems sowie der Kinder- und Jugendhilfe bildungsstufenübergreifend von der frühkindlichen Bildung über den Primar- und Sekundarschulbereich bis hin zu den Hochschulen analysiert. Untersucht werden erstens die Anforderungen und Erwartungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure (Gesetzgeber, Eltern, Unternehmen, Berufsverbände etc.), denen sich Bildungsorganisationen gegenüber sehen, zweitens die jeweils in den Lern-, Erziehungs- und Organisationskulturen zum Ausdruck kommenden Logiken, die sich organisationsintern durchsetzen, sowie die ihnen entsprechenden Handlungspraxen. Drittens werden jeweils die Bemühungen von Schulen und Hochschulen in den Blick genommen, sich in einem horizontal und auch zunehmend vertikal differenzierten Feld von Bildungsorganisationen zu positionieren.
3. Wissen als soziale Praxis
Dieser Schwerpunkt befasst sich mit der Frage, wie Wissen zum Gegenstand sozialer Situationen (gemacht) wird und welche Rolle in diesem Zusammenhang seiner Vermittlung und Aneignung zugemessen wird. Im Vordergrund steht dabei die Rekonstruktion der je kontextspezifischen lokalen, materiell-räumlich situierten Vollzugswirklichkeiten des Umgangs mit Wissen (und Nicht-Wissen) und der Konstituierung von Wissen. Analysiert werden dabei vor allem wissensbezogene Praktiken in Interaktionssituationen. Darüber hinaus werden aber auch Dynamiken der Verhandlung, Übersetzung und Vermittlung von Wissen in und zwischen größeren sozialen Zusammenhängen, etwa sozialen Welten und Organisationen in den Blick genommen. Betrachtet werden diese Konstellationen und Dynamiken sowohl innerhalb als auch außerhalb von Bildungseinrichtungen. Einen gemeinsamen Fluchtpunkt haben diese Untersuchungen in der Frage, wie in den jeweils betrachteten Wissenspraxen je spezifische Bedingungen der Wissensaneignung prozessiert werden.
4. Bildungsexpansion und Akademisierung der Berufe
Gegenstand dieses Schwerpunktes sind jene Beziehungen, die zwischen der expandierenden Hochschulbildung und der Entstehung und Transformation beruflicher Handlungsbereiche bestehen. Mit der Einrichtung neuer anwendungsbezogener Studiengänge werden neue berufliche Zuständigkeiten erzeugt oder bestehende verändert. Es wird erstens den Effekten nachgegangen, die sich daraus auf struktureller Ebene für die Positionierung der Absolventinnen und Absolventen im Beschäftigungssystem und in Arbeitsorganisationen ableiten. Zweitens wird analysiert, in welchem Verhältnis das an den Hochschulen und Universitäten vermittelte akademische Wissen zu jenen Fähigkeiten steht, die die Bewältigung der faktischen beruflichen Handlungsprobleme abverlangen und in Anspruch nehmen.