Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Hallesche Abendgespräche im Wintersemester 2024/25

Kulturkampf im Klassenzimmer?
Bildung und Demokratie in den USA

Organisation: Richard Lischka-Schmidt & Phillip Wagner

Anlass und Ziel der Abendgespräche

Vom Lehrplan verbannte Bücher, Streit um religiöse Bildung oder die critical race theory: In den USA stehen Schulen und andere Bildungsinstitutionen in der Mitte immer heftigerer ,Kulturkämpfe‘. Denn in ihnen prallen unterschiedliche Begriffe und Praktiken von Demokratie aufeinander. Linke und Liberale fordern einen kritischeren Umgang mit Geschichte und Gesellschaft in den Klassenzimmern. Marginalisierte ethnische Gruppen streben darüber hinaus nach einer stärkeren Repräsentanz in den Schulen (vgl. Ortlepp 2021). Demgegenüber versuchen Konservative, unliebsame Bücher aus dem Unterricht zu verbannen (vgl. Alleyne 2022). Sie wollen zurück zu einer Vermittlung des Patriotismus und verteidigen gemeinsame Praktiken und Symbole, so wie den Fahneneid der Schüler:innen (vgl. McCorkle und Schenck 2017). Deswegen hält politischer Streit verstärkt Einzug in die Klassenzimmer und entwickelt sich zu einer Herausforderung für Lehrer:innen und Erziehungswissenschaftler:innen (vgl. Payne und Journell 2019). All diese Entwicklungen verdeutlichen eine seit den 1970er Jahren immer stärker werdende politische, wirtschaftliche und kulturelle Polarisierung (vgl. Hunter 1992; Rodgers 2011).

Die politische Polarisierung in der US-amerikanischen Gesellschaft ist eine unmittelbare Herausforderung für die Schule. Denn durch sie spitzen sich die Ambivalenzen einer Schule zu, die seit dem frühen 20. Jahrhundert beansprucht, die zentrale Bildungsstätte für demokratische Staatsbürgerschaft zu sein. Dabei fällt ein zentraler Widerspruch sofort ins Auge. Dieses resultiert daraus, dass Schulen in einer Demokratie zu Meinungsfreiheit und Pluralismus zu erziehen haben, zugleich aber nicht-demokratische Meinungen und Haltungen ausschließen. Die Schule in einer Demokratie ist paradoxerweise politisch neutral und parteiisch zugleich (vgl. Leschinsky und Kluchert 1999, S. 21), was in der aktuellen Situation zu einem eminenten Problem wird. Wenn die Schule in einer demokratischen Gesellschaft die Schüler:innen mit bestimmten demokratischen Haltungen und Kompetenzen ausstatten soll (vgl. Schmid und Watermann 2018, S. 1134; Gutmann 1993, S. 1), stellt sich in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft somit die Frage, welche Einstellungen und Fertigkeiten dies sind, wo eine gemeinsame demokratische Identität liegt und wie letztere mit Pluralismus vermittelt werden kann.

Die aktuelle politisch-gesellschaftliche Polarisierung ist Anlass für die Halleschen Abendgespräche zum Thema Schule und Demokratie in den USA. Sie fragt grundsätzlich danach, ob und wie das Bildungssystem unter den Bedingungen zunehmender Polarisierung Ort der Demokratiebildung sein kann, soll oder muss. Im Detail geht es um drei Fragekomplexe: 1. Welche Herausforderungen und Widersprüche liegen im Verhältnis von Schule und pluralistischer bzw. polarisierter demokratischer Gesellschaft in den USA liegen; 2. Wie wird Schule zum Gegenstand und Schauplatz übergeordeneter politischer Auseinandersetzungen verschiedener Weltanschauungen; 3. Wie wird in Schulpolitik und Klassenzimmern die Polarisierung der Gesellschaft verhandelt, wie deutet Schule den fragiler werdenden Auftrag, demokratische Bürger:innen hervorzubringen, wie vollzieht sie civic education in der Praxis, welche Konflikte ergeben sich daraus und wie werden diese pädagogisch und politisch bearbeitet?

Die einzelnen Veranstaltungen bzw. Vorträge im Rahmen der Veranstaltungsreihe sollen Schlaglichter auf diese Frage aus theoretischer und empirischer Perspektive und auf Basis verschiedener disziplinärer Zugänge werfen, auch unter Einbezug internationaler Perspektiven.

Obwohl die Abendgespräche die USA in den Blick nehmen, hat das Thema auch eine hohe Relevanz für Deutschland. Zum einen sind die USA noch immer ein wichtiger internationaler Bezugspunkt für öffentliche Debatten über Politik und Gesellschaft in der Bundesrepublik. US-amerikanische Filme, Serien und Bücher prägen darüber hinaus die Bilder von Schule, Unterricht und des Lehrer:innenberufs in Deutschland. Zum anderen ist auch die Bundesrepublik seit etwa 10 Jahren von politischer Polarisierung betroffen. Auch die Politisierung von Schule erreicht dabei immer neue Höhepunkte, wie man an den Debatten über das Meldeportal der AfD für Lehrpersonen, über Antisemitismus und Islamismus, über Rechtsextremismus an Schulen und nicht zuletzt über den Klimaprotest in den Klassenzimmern ablesen kann.

Literatur

Alleyne, Akilah (2022): Book Banning, Curriculum Restrictions, and the Politicization of U.S. Schools. Center for American Progress. Online verfügbar unter https://www.americanprogress.org/article/book-banning-curriculum-restrictions-and-the-politicization-of-u-s-schools/.   

Culp, Julian (2021): Schulische Demokratieerziehung und die Krise der repräsentativen Demokratie. In: Zeitschrift für Pädagogik 67 (4), 528-542.

Gutmann, Amy (1993): Democracy & Democratic Education. In: Studies in Philosophy and Education 12 (1), S. 1–9.

Hummrich, Merle / Schwendowius, Dorothee / Terstegen, Saskia (Hg.) (2022): Schulkulturen in Migrationsgesellschaften. Studien zu Differenzverhältnissen im deutsch-amerikanischen Vergleich. Wiesbaden: Springer VS.

Hunter, James D. (1992): Culture Wars. The Struggle to Define America. New York: Basic Books.

Leschinsky, Achim / Kluchert, Gerhard (1999): Die erzieherische Funktion der Schule. Schultheoretische und schulhistorische Überlegungen. In: Leschinsky, Achim (Hg.): Die Schule als moralische Anstalt. Erziehung in der Schule: Allgemeines und der „Fall DDR“. Weinheim: Dt. Studien-Verl., S. 15–42.

McCorkle, William / Schenck, Stephanie (2017): The Incompatibility of a Daily School Pledge with a Democratic and Multicultural Education. In: Journal of Education & Social Policy 4 (4), S. 63–70.

Ortlepp, Anke (2021): Getrennte Klassenzimmer. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/themen/nordamerika/usa/343377/getrennte-klassenzimmer/.   

Payne, Katherina A. / Journell, Wayne (2019): “We have those kinds of conversations here …”: Addressing contentious politics with elementary students. In: Teaching and Teacher Education 79, S. 73–82.

Rodgers, Daniel (2011): Age of Fracture. Cambridge, MA: Harvard University Press.

Schmid, Christine / Watermann, Rainer (2018): Demokratische Bildung. In: Tippelt, Rudolf / Schmidt-Hertha, Bernhard (Hg.): Handbuch Bildungsforschung. Wiesbaden: Springer VS, S. 1133–1153.

Ablaufplan

25.11.2024

Kulturkämpfe aus historischer, komparatistischer und anglistischer Perspektive. Eine interdisziplinäre Gesprächsrunde

Prof. Dr. Jürgen Martschukat (Universität Erfurt)
Prof. Dr. Daniel Weidner (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)
PD. Dr. Julia Nitz (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)

09.12.2024

Reproduktion von Race in vergleichender Perspektive

Prof. Dr. Merle Hummrich (Goethe-Universität Frankfurt am Main)

13.01.2025

Civic Education in U.S. Classrooms

Assoc. Prof. Katherina A. Payne, Ph.D. (University of Texas at Austin)
➢ online unter Zoom (Meeting-ID: 432 460 0287, Kenncode: UbfZ5J)

27.01.2025

Schulische Demokratieerziehung und die Krise der repräsentativen Demokratie

Assoc. Prof. Julian Culp, Ph.D. (The American University of Paris)

Veranstaltungszeit: 18.15 bis 20.00 Uhr

Veranstaltungsort: Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Franckesche Stiftungen, Haus 5, Ernst-Christian-Trapp-Saal, Franckeplatz 1, 06110 Halle

Im Anschluss der vor Ort stattfindenden Veranstaltungen sind gemeinsame Abendessen mit allen Interessierten in der Osteria da Salvatore (Bergstraße 7, 06108 Halle) geplant.

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